Mittwoch, 19. August 2020

"Spülbare Eröffnungen und Snooker:" Unsere Turnierfahrt nach Prag

Schachlich waren unsere Leistungen in Prag leider nur ok bis schlecht, aber mir hats dennoch wieder sehr gut gefallen in Tschechien. Highlights waren für mich die Bahnfahrten durch den Böhmerwald, das tolle Essen in Prag, die Wanderungen durch die Stadt und die gemeinsamen Erlebnisse.

Die Anreise nach Prag verlief unproblematisch und wir hatten wohl insofern Glück mit dem Wetter, als dass es dort nur heiß. in Deutschland in diesen Tagen furchtbar heiß war.
Das von Tim gebuchte Hotel lag im hübschen Stadtviertel Karlin mit vielen Lokalen und Geschäften, das vom Hauptbahnhof auch ganz gut zu erreichen war (dabei wurde das immer noch interessante Spiel Karte gegen Google Maps gespielt). Gegen halb 6 im Hotel war noch genug Zeit zum entspannten Essengehen und Einkaufen für die Folgetage.

Am Samstag ging dann das Turnier los mit der Erkenntnis, dass sich die besonderen Vorkehrungen wegen Corona in engen Grenzen hielten. Desinfektionsspender standen zwar ein paar rum, aber die Bretter standen in ganz üblichem (engen) Abstand nebeneinander. Immerhin waren die Tische etwas breiter als gewöhnlich, aber 1,5 Meter zum Gegenüber waren das natürlich nicht. Wer seine Partie beendet hatte oder Zuschauer war sollte Maske tragen, was von vielleicht jedem Zweiten eingehalten wurde. Auch Abstandsregeln waren kein großes Thema, gerade beim Blitzturnier bildeten sich auch die üblichen Spielertrauben.
So kamen auch ziemlich große Turniere zustande mit 189 Spielern im offenen Turnier A und 89 Spieler im Turnier B bis 2000 ELO. In normalen Zeiten wäre der Turniersaal für diese Spielermenge sehr gut geeignet, in diesen Zeiten wäre es m.E. kein Fehler gewesen jedes zweite Brett wegzulassen. Sehr angenehm zum Spielen war auch die gute Klimatisierung, weniger natürlich aus epidemiologischer Sicht. Sicherlich hätte es passieren können, dass das Turnier keine 9 Runden erlebt, aber wir kamen durch.

Klar war im Vorfeld, dass ich im Turnier B spielen würde, auch wenn ich da an Platz 2 gesetzt war; indes ist meine ELO aber auch sehr hoch und ich befürchtete schon schlechte Form und wollte eigentlich auch einfach nicht so viel am Brett "arbeiten". Ebenso klar war, dass Tim im Turnier A starten würde. Joscha entschied sich dann letztlich auch für Turnier A und Lukas für B. Beide waren immerhin auch hinterher mit ihrer Entscheidung zufrieden.

Nach unseren Ambitionen unterschieden sich auch unsere Tagesgestaltungen abseits des Schachbrettes. Während Tim unglaublich fleißig viele Stunden an seinen Eröffnungen und denen seiner Gegner arbeitete, standen für die anderen eher Lichessturniere, Schacholympiade, Carlsen-Nakamura und die Snooker-WM sowie landestypische Getränke im Fokus. Dazu erkundete ich wie erwähnt das Viertel und Teile der Stadt inklusive Tourihighlights.

Nun zu unseren Turnieren: Klar wurde auch schnell, dass es schwer werden würde Wertungspunkte zu gewinnen, weil sehr viele ambitionierte (und eben stets deutlich unterbewertete) Kinder und Jugendliche am Start waren, so etwa das fast komplette deutsche nationale U 12-Team und Leistungskader aus Österreich und Sachsen-Anhalt, aufstrebende tschechische Kinder und einige starke Schachfamilien aus ganz Europa!

Tim war glaube ich nicht zufrieden mit seinem Turnier, aber mit seinen 4/9 landete er immerhin im Bereich der deutschen U 12-Spieler; ich hoffe, dass ihn diese Info aufbaut, sie spricht immerhin für hohes Niveau im Turnier (Bilder vom Blitzturnier).
Mein Gedächtnis ist leider schlecht, ich erinnere mich nicht mehr an alles: Er begann mit einem IM, der nicht souverän, sondern erst nach harter Arbeit gewinnen konnte. In Runde 2 klammerte ein ungesetzter Tscheche remis, ein erster kleiner Dämpfer. Ein gewohnt supersolider Sieg in Runde 3 wurde "belohnt" mit einem ungarischen Wunderkind, gegen das er aber gut stand und das am Ende nur gank knapp ins Remis entkam. Eine weitere "Belohnung" war dann dessen großer Bruder mit fast ELO 2300 in Runde 5. Auch hier hatte er zwischenzeitlich Chancen, am Ende war das Endspiel aber "unspülbar" (dazu später). Runde 6 und 9 entkamen leicht schwächer bewertete Spieler ins Remis, Runde 7 brachte einen schönen Vorbereitungssieg und Runde 8 eine Null gegen einen österreichischen Nachwuchsathleten, der aber auch ein großes ELO-Plus erspielen konnte.
Er agierte sehr professionell und engagiert und mit sehr komplexen Eröffnungssystemen!

Joscha startete gleich mit seinem Highlight: Remis gegen einen FM mit über 2200! Dabei stand er sogar etwas besser; einen Zug lang konnte er sogar eine Gewinnstellung erreichen, aber das soll den Erfolg nicht schmälern. Er hat hier eindrucksvoll gezeigt, was er kann!
Es folgten ein IM und ein remis gegen ein Kind mit 2000 in Runde 3, also ein toller Start. Runde 4 bringt ebenfalls eine Gewinnstellung gegen einen Gegner mit fast 2100! Leider wird er unversehens matt; eine Niederlage, die so nie wieder passieren wird, weil sie sehr lehrreich war. Runde 6 verhinderte ein Verrechner den sicheren Sieg, der in den Runden 6 und 7 eingefahren wird. Hier steht er auch bereits nach der Eröffnung auf Gewinn und dieamal haben die Gegner keine Chance. Diese Partien stehen für den neuen Joscha, so stark wie noch nie und bereit für den nächsten Schritt! Ein Happy End blieb leider aus. Runde 8 brachte einen letalen Fingerfehler und Runde 9 ein Problem ausgangs der Eröffnung, eine passive Stellung, eben auch einen guten Gegner. 3/9.
Das Turnierergebnis sieht schlechter aus als die Leistung, Das Turnier war eine richtige Achterbahnfahrt, aber kann immens wertvoll sein für die weitere schachliche Entwicklung!

Lukas entschied sich ja fürs Turnier B. Dort bezwang er in den ersten beiden Runden einen Kind und einen Hobbyschachspieler in seinem unnachahmlichen Stil sicher. Das Kind in Runde 3 am Spitzenbrett hatte eine ELO von nur 1470, aber sollte am Ende das Turnier gewinnen!! Der glänzte in den ersten 6 Partien mit einer beeindruckenden Eröffnungsvorbereitung, so auch gegen Lukas. Nach seiner Aussage wurden im Vorfeld über 120 Partien (!) von Lukas gesichtet und tatsächlich auch fies eine Eröffnungsschwachstelle gefunden und zum Sieg ausgenutzt (sein Trainer bezeichnete die Variante im österreichischen Dialekt als "NICHT SPÜLBAR", das wurde zu einem running gag des Turniers). Die Nächste gewinnt Lukas wieder hübsch mit d4-h4, und dann lässt das Tempo etwas nach. Gegen einen Franzosen, den ich auch schon hatte, spielt er ebenso remis wie ich, als der eine Zugwiederholung findet. Danach rächt er mich und gewinnt gegen die "EISKÖNIGIN", ein Mädchen, das am Brett keinerlei emotionale Regungen zeigte, nach hartem Kampf und Angiff im Endspiel. Runde 7 bringt einen erfahrenen Haudegen, der sogar mal 2300 hatte. Remis im Endspiel und in Runde 8 führt aus der Eröffnung durch eine Fehlkakulation zur Verluststellung gegen einen Engländer mit eigenem Wikipediaartikel. Eine Kraftanstrengung hievt ihn mit einem Arbeitssieg in Runde 9 noch auf 6/9 und auf Rang 12!
Die Partie gegen den Turniersieger außer acht gelassen (das war echt vom anderen Stern) hat er nur 2 Punkte abgegeben, da kann man nicht viel meckern! Sein Spiel begeistert mich weiter und Impulse zur noch weiteren Verbeserung hat er auch mitnehmen können!

Mein Turnier begann mit einem schnellen Sieg gegen einen Schachfreund aus Berlin. Auch Runde 2 konnte ich noch gewinnen, aber die Probleme des Turniers zeichneten sich schon ab. Ich vermischte 2 Eröffnungsvarianten und stand gegen einen netten Jungen aus dem Landeskader SAA sehr schlecht. Auf Verdacht opferte ich eine Figur für Gegenspiel und konnte die Partie mit Glück sogar noch gewinnen. Danach erhoffte ich von der starken Spielerin und erfahrenen Trainerin WGM Melamed in der Analyse etwas zu lernen. Etwas enttäuscht war ich dann schon, dass sie kaum Zugvorschläge machte sondern hauptsächlich ihren Schützling kritisierte. Ehrlich gesagt tat mir das in der Seele weh. In meiner nächsten Partie kam die Unachtsamkeit erst im Endspiel und zementierte das Remis, nachdem mein Gegner vorher schon recht friedlich gestimmt war. Das war aber noch verkraftbar und auch mit dem Gegner aus Le Havre konnte ich mich hinterher angeregt unterhalten!
Es folgen 2 grausame Partien gegen Jugendspieler. Die "Eiskönigin" vernichtete mich im Königsangriff, nachdem ich völlig unangemessen entgegengesetzt rochiert hatte. Und gegen einen Jugendspieler aus Hildesheim übersah ich schon am Anfang Mehreres und stand lange völlig platt. Das Remis im Endspiel war megaglücklich. Die Belohnung war ein weiteres Kaderkimd aus SAA, auch da stand ich in der Remisstellung schlechter, nachdem ich erst meinen vielversprechenden Angriff grob misshandelt und dann seine Idee übersehen hatte. Einem Sieg gegen einen weiteren Berliner folgte eine weitere massive Eröffnungsfehlleistung, die direkt in ein glatt verlorenes Endspiel führte. Ein Happy End hatte ich dann auch nicht verdient und so verpasste ich gegen einen weiteren Jugendspieler mehrfach klare Gewinnwege und hätte meine einstige Gewinnstellung sogar noch verlieren können, wo der Gegner dann mit remis zufrieden war.
Also ein ernüchterndes Ergebnis. Ich werde da einiges überdenken (müssen) und hoffen, dass Besserung eintritt!

Kein Happy End leider auch bei der Rückfahrt. Durch Verspätung kamen wir 90 Minuten später nach Hause und konnten auch kaum die Quarantäneliga spielen, was die zwei Mal vorher noch ganz gut gelang.

Aber mir hats trotzdem insgesamt gut gefallen, ich hoffe den anderen auch und ich freue mich schon jetzt auf die nächste Schachreise, wann immer die auch sein kann. Das "Paris des Ostens" war jedenfalls klasse!




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